Dieser Artikel wurde ursprünglich auf ChemistryWorld.Com veröffentlicht.
EIN INTERVIEW MIT PHIL KAY, LEARNING MANAGER BEI JMP
Chemiker müssen keine Programmierer sein
Aber sie benötigen Fähigkeiten zur Datenanalyse
Chemiker werden ihre Fähigkeiten immer an neue wissenschaftliche Herangehensweisen anpassen müssen. Als Student musste ich lernen, wie man Schmelzpunktröhrchen herstellt, indem man Glaskapillaren über der Flamme eines Bunsenbrenners in die Länge zieht. Ich erinnere mich noch daran, weil ich das nicht wirklich gut konnte: der Abfalleimer war voll mit meinen Werkstücken. Doch zum Glück war die Vorgehensweise schon damals überholt und mein handwerkliches Geschick musste darüber hinaus nicht weiter getestet werden.
Einst hätten die meisten Chemiker zumindest rudimentäre Glasbläserkenntnisse benötigt. Da aber die meisten von ihnen genutzten Glaswaren auch von vielen tausend anderen Wissenschaftlern gebraucht wurden, entstanden bald Unternehmen, die den Markt mit serienmäßig produzierten Artikeln bedienten. Heute wäre es absurd, selbst einen Liebig-Kondensator herzustellen, bevor man eine Destillation durchführen kann, oder sogar seine eigenen Reagenzien oder Instrumente anzufertigen.
In der Arbeit des Chemikers werden weniger Proben und dafür mehr Daten generiert.
Im Bereich der Forschungskompetenzen gibt es einen aktuellen Trend, den ich für ebenso absurd halte: dass es für die Zukunft der Wissenschaft unerlässlich sein wird, Codieren zu lernen. Diese Idee macht derzeit die Runde, da sich die Wissenschaft mehr und mehr von in vitro zu in silico bewegt. Codierung ist sicherlich nützlich, aber ist genauso wenig eine Voraussetzung, um Forschung zu betreiben, wie Glasbläserei. Hilfreich ist diese Idee auch deshalb nicht, weil sie den Fokus auf den falschen Aspekt der Forschung legt: sich darauf zu konzentrieren, wie etwas hergestellt wird, und nicht darauf, warum man es herstellt. Noch viel wesentlicher ist, dass der Ansatz den viel wichtigeren Bedarf an Fähigkeiten zur Datenanalyse ignoriert.
Gemäß dem Grundsatz „Codieren nur wenn nötig“
Je digitaler F&E wird, desto weniger wird es praxisorientierte Laborarbeit geben, so das Argument. Im Labor der Zukunft werden praktische Routineaufgaben automatisiert, und Forscher werden stattdessen ihre Zeit damit verbringen, diese Maschinen und ihre Datenabläufe zu codieren. Daher sollten wir jeden in Codierungs-Bootcamps schicken.
Ich kenne viele Wissenschaftler, die gern neue digitale Fähigkeiten, einschließlich der Codierung, erlernen – ich bin einer von ihnen. Ich habe genug gelernt, um zu verschiedenen Zeitpunkten meiner Karriere das Codieren sinnvoll einzusetzen, aber nur wenn ich musste.
Vor kurzem hat eine neuartige Methode des maschinellen Lernens mein Interesse geweckt, die selbstvalidierte Ensemble-Modellierung (SVEM). Diese verspricht, insbesondere für die Analyse kleinerer Datensätze, wie sie typischerweise in industriellen F&E-Experimenten anfallen, nützlich zu sein. Der Algorithmus erfordert das Durchlaufen von Hunderten von Zyklen einer Analyseroutine. Manuell wäre das sehr aufwändig. Ich verbrachte ein paar Stunden damit, einen Code dafür zu schreiben, und der bildliche Abfalleimer für fehlerhaften Code war schnell voll. Dennoch war es eine unterhaltsame Möglichkeit, SVEM besser zu verstehen, genauso wie man Form und Funktion von Kolben und Trichtern besser wertschätzt, nachdem man versucht hat, seine eigenen zu machen.
Die digitale Transformation ist nach wie vor eine der größten Herausforderungen, vor denen Unternehmen heute stehen.
Meine begrenzten Untersuchungen zeigen, dass SVEM nützlich sein könnte. Aber ich denke nicht, dass jemand seinen eigenen Code dafür schreiben sollte. Sie könnten ein Risiko eingehen und meinen benutzen. Aber selbst ich tue das nicht mehr, denn Softwareentwickler haben inzwischen viel bessere Arbeit geleistet: Die neueste Version von JMP Pro enthält eine einfache Schnittstelle, mit der jeder seine Daten mit SVEM mit wenigen Klicks analysieren kann. Das Tolle am Codieren ist, dass eine Person einmal etwas erstellen kann, das von einer beliebigen Anzahl anderer Personen endlos weiterverwendet werden kann.
Es ist besser, sich auf Fähigkeiten zu konzentrieren, die einen Mehrwert bieten.
Die meisten Aufgaben, für die ich früher einen Code entwickeln musste, lassen sich heute per Mausklick erledigen. Und in den letzten Jahren ist die Zahl der kommerziellen No-Code- und Low-Code-Softwarelösungen für die Laborautomatisierung und Datenerfassung explosionsartig gestiegen. Denn genau wie Unternehmen, die Glaswaren in Massenproduktion herstellen, wurden auch Softwareunternehmen von Leuten gegründet, die sich den Anforderungen bewusst sind. In Zusammenarbeit mit der wissenschaftlichen Gemeinschaft haben ihre engagierten Entwickler benutzerfreundliche Tools entwickelt, die genau diesen Bedürfnissen gerecht werden. Und für die meisten Menschen wäre es Zeitverschwendung, wenn sie erst lernen müssten, wie man seine eigenen digitalen Tools erstellt.
Dennoch gehören die digitale Transformation und die Entwicklung der dafür erforderlichen Fähigkeiten weiterhin zu den größten Herausforderungen, denen Unternehmen heute gegenüberstehen. Ich spreche mit Wissenschaftlern aus großen und kleinen Unternehmen auf der ganzen Welt und noch niemand hat es bisher geknackt. Meiner Erfahrung nach kann ein Ansatz funktionieren, in dem Unternehmen eine kleine Anzahl von Enthusiasten zu internen Experten ausbildet, die dann maßgeschneiderte Lösungen zur Optimierung von Daten-Workflows für ihre Kollegen codieren können. Allerdings ist dies erst als nachgelagerter Schritt sinnvoll. Zunächst muss wichtige Vorarbeit geleistet werden, um die Fundamente für eine datengestützte Kultur zu legen.
Zuerst muss die Notwendigkeit besserer Datenanalysefähigkeiten des gesamten wissenschaftlichen Personals erkannt werden. Im Job des Chemikers der Zukunft werden weniger Proben und mehr Daten generiert, die in hilfreiche Erkenntnisse umgewandelt werden können. So sind die erfolgreichsten Organisationen bereits damit beschäftigt, die statistischen Fähigkeiten aller ihrer Mitarbeiter zu verbessern. Gleichzeitig konzentrieren sie sich auf die Kernkompetenzen und Softwaretools, die ihren Wissenschaftlern helfen, sich an diesen Paradigmenwechsel anzupassen.
Der Chemiker der Zukunft muss genauso wenig Programmierer sein wie der Chemiker von heute Glasbläser. Stattdessen müssen sie sich mit Visualisierung auskennen, damit sie ihre Daten schnell untersuchen und Erkenntnisse vermitteln können. Sie benötigen ein Verständnis der statistischen Modellierung und der Grundlagen des maschinellen Lernens, um maximale Erkenntnisse aus kleinen und großen Datenmengen zu gewinnen. Sie müssen statistische Versuchspläne verwenden, um die nützlichsten Daten zu generieren. JMP hat eine kostenlose Online-Schulungsressource erstellt, „Statistisches Denken für industrielle Problemlösungen“, die Ihnen eine Einführung in all diese Themen bietet. Weitere Informationen finden Sie in der Kollektion „Design of Experiments“ von Chemistry World in Zusammenarbeit mit JMP.
Über den Autor
Phil Kay ist Learning Manager bei JMP Statistical Discovery, einer Tochtergesellschaft von SAS. Seine Aufgabe besteht darin, die wissenschaftlichen und technischen Herausforderungen für Industrieunternehmen auf der ganzen Welt zu verstehen und sie bei der Entwicklung von Datenanalyselösungen zu beraten.
Vor der Entwicklung zahlreicher Prozesse für die Herstellung von Farbstoffen für den Digitaldruck bei FujiFilm Imaging Colorants war Phil maßgeblich an der Entwicklung beteiligt. Er verfügt über einen Masterabschluss in angewandter Statistik und verfasste seine Dissertation zum Thema Versuchsplanung (englisch: Design of Experiments, DOE). Darüber hinaus hat er einen Masterabschluss und Doktortitel in Chemie.
Er ist Fellow der Royal Statistical Society, Chartered Chemist und Mitglied des Ausschusses der Process Chemistry and Technology Group der Royal Society of Chemistry.
Phil zeigt anderen mit Begeisterung, wie Datenanalyse die Wissenschaft verbessert. Folgen Sie Phil Kay, begeisterter Befürworter der Datenanalyse, auf LinkedIn.
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